Ewald König (Österreich) schildert seine November-Veranstaltungen als Zeitzeuge
Treffen mit Fluchthelfer Burkhart Veigel (81) acht Meter unter der Bernauer Straße.
Meine letzten Wochen waren heftig. Ausnahmsweise beschäftigte mich weniger die aktuelle Politik. Es ging fast nur um den 30. Jahrestag des Mauerfalls und den Zustand der Einheit. Wie andere Zeitzeugen wurde auch ich von zahlreichen in- und ausländischen Medien über meine Erinnerungen an die Schabowski-Pressekonferenz und die darauffolgende Nacht gefragt, in der die Mauer fiel. Journalisten aus Portugal, Russland, Frankreich, Tschechien, Österreich und mehreren arabischen Ländern erzählte ich, wie es war. In einer Sondersendung der Deutschen Welle war ich Studiogast. Dreißig Jahre ist es her. Doch sehe ich die Bilder und höre ich die Töne von damals, melden sich noch heute intensive Erinnerung und Gänsehaut.
Eine ganz spezielle Veranstaltung hatten sich die Vereinigung der Berliner Pressesprecher und das Westin Grand Hotel an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden einfallen lassen. Das damalige Grand Hotel spielte in der DDR eine wichtige Rolle. Deshalb sollten dort einen Tag vor dem 30. Jahrestag der Schabowski-Pressekonferenz vom 9. November 1989 die damaligen Akteure zusammenkommen, soweit sie noch erreichbar waren. Geplant war ein Podiumsgespräch im Nobelhotel. Doch Interesse und Andrang waren so groß, dass die Vorsitzende der Berliner Pressesprecher, Andrea Bishara, und ihr Stellvertreter Eberhard Vogt die Veranstaltung in einen großen Saal verlegen mussten. Heike Muß von der Landesvertretung Schleswig-Holstein bot sich spontan als Gastgeber an. Thema: "'Unverzüglich' – Ein Presse(ver)sprecher macht Geschichte." Der Saal war rappelvoll.
Damalige Akteure erzählten von "ihrem" 9. November 1989: Peter Brinkmann, damals Bild-Zeitung, der in der Pressekonferenz die entscheidende Zwischenfrage gestellt hatte, auf die Schabowski mit "sofort, unverzüglich" antwortete; Claudia Fasse, die als ganz junge Mitarbeiterin des SFB Hörfunk berührende Zitate in der Nacht des Mauerfalls einfing; Eberhard Grasshoff, ehemals Sprecher der Ständigen Vertretung der BRD in DDR, mit 91 Jahren lebhaft aus den Erinnerungen schöpfend; Dagmar Hövestädt, die damals als BBC-Korrespondentin dabei war; Werner Kolhoff, Senatssprecher unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper, mit Internas aus den Kulissen der Stadtregierung; Robin Lautenbach, der als SFB-Korrespondent mit seiner Schalte vom Mauerfall Berühmtheit erlangte; Frank Losensky, ehemals ADN-Auslandssendungen; Ulrich Paul, damals Reporter des Spandauer Volksblattes; der AP-Agenturjournalist Frieder Reimold, dessen Eilmeldung "DDR öffnet Grenzen" exakt fünf Minuten nach Ende der PK ausgesandt wurde und der erzählte, es wäre sogar noch schneller gegangen, hätte die Redaktion nicht zunächst an seinem Verstand gezweifelt; Heinz-Joachim Schöttes, der damals für die dpa aus Ostberlin berichtete; Peter Wensierski, der damals für das ARD-Magazin "Kontraste" des Senders Freies Berlin (SFB) arbeitete; und nicht zuletzt war auch ich als Zeitzeuge und damaliger "Presse"-Korrespondent dazu eingeladen, als einziger Ausländer übrigens. Kaum zu glauben: Dieses Zeitzeugentreffen von damals entscheidenden Journalisten und Pressesprechern aus Ost und West war das allererste dieser Art – dreißig Jahre danach!
Ich ließ mir auch die Eröffnung des Besucherteils eines Fluchttunnels unter den Grenzanlagen der Bernauer Straße nicht entgehen, hergerichtet vom Verein Berliner Unterwelten. Auch hier eine Art Veteranentreffen, unter anderem traf ich dort Burkhard Veigel, den bekanntesten und erfolgreichsten Fluchthelfer, der 650 DDR-Bürgern in den Westen verholfen hatte, meist durch Tunnel. Der original Fluchttunnel von 1970/71, knapp acht Meter unter der Oberfläche, ausgehend vom Lagerkellergewölbe der einstigen Oswald-Berliner-Brauerei in der Brunnenstraße 143, ist der einzige echte Fluchttunnel, der noch zu besichtigen ist.
Alles in allem ein außergewöhnlicher November mit ganz viel Rückblick, wenig Vorschau und wenig Gegenwart.
Ewald König