Das Deutschlandbild der Griechen bessert sich wieder. Doch in der Schuldenkrise wurde so viel Porzellan zerschlagen, dass es noch lange dauert, bis sich die Wogen glätten, findet der griechische Korrespondent Georgios Pappas.
Georgios Pappas ist Korrespondent für griechische Medien und gleichzeitig Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse (VAP). (Screenshot aus einem Gespräch mit korrespondenten.tv)
Eigentlich pflegten Griechen und Deutsche immer ein gutes Verhältnis. Die Deutschen hatten ein gutes Bild von Griechenland, zeigten Interesse an Hellenismus und der Antike, dann kam eine halbe Million griechischer Gastarbeiter nach Deutschland, man liebte die griechischen Tavernen und den Ouzo und verbrachte den Urlaub in Griechenland.
Aber als 2010 die Eurokrise ausbrach, wurde viel Porzellan zerschlagen. Das gute Verhältnis war zerstört. Daran haben auch die Boulevardmedien auf beiden Seiten Schuld. Vor allem die Bild-Zeitung spielte eine immense Rolle. Daraufhin brachten auch griechische Medien die Emotionen zum Kochen. Sie haben immer wieder die Nazi-Keule geschwungen.
Dazu gehörte auch der Rückgriff auf die Geschichte, die Rolle Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs mit all den Gräueltaten der deutschen Besatzungsmacht in Griechenland. Die Erinnerungen daran sind immer noch wach. In den Dörfern Nordgriechenlands oder der Peloponnes trifft man immer noch alte Frauen, die ihr Leben lang schwarz tragen, weil sie Vater, Bruder, Mann oder Sohn durch die Exekutionskommandos verloren haben. Das spielt immer wieder eine Rolle, sobald Spannungen hochkommen. Auch das Thema Reparationszahlungen ist nicht vom Tisch. Da trägt Deutschland eine große Verantwortung, eine Lösung zu finden. Solange es keine Lösung gibt, wird das in den deutsch-griechischen Beziehungen immer ein heikles Thema bleiben. Deutschland beharrt auf seiner ablehnenden Haltung und will nicht einmal darüber reden oder verhandeln. Dabei gäbe es in dem Themenkomplex durchaus ein paar Dinge, die positiv geregelt werden könnten. Das hätte den Effekt, dass Deutschland zeigt, dass es die Verantwortung übernimmt.
Der Höhepunkt der Schuldenkrise war 2015, als Griechenland am Rande des Austritts aus der Euro-Zone oder überhaupt aus der Europäischen Union stand. Damals war Deutschland in den Augen vieler Griechen echt verhasst.
Inzwischen hat sich die Situation weitgehend normalisiert. Das ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden hatte, Griechenland im Euro zu halten. Rückblickend hat diese Haltung bewirkt, dass das Deutschlandbild der Griechen wieder besser geworden ist.
Wenn ich mir die Geschichte Deutschlands vor Augen halte, bin ich für das heutige Deutschland zuversichtlich. Kaum ein anderes Land in Europa hat sich mit seiner Geschichte so intensiv auseinandergesetzt. Natürlich gibt es leider immer NS-Nostalgiker, aber das macht nicht das Bild des heutigen Deutschlands aus. Die derzeitige Rolle Deutschlands in Europa ist sehr positiv zu bewerten, und ich hoffe, dass es so bleibt. Allerdings wird die Architektur Europas neu geschmiedet, global befinden wir uns in einer Umbruchzeit, und man weiß nicht, welche Weltordnung wir in fünf oder zehn Jahren haben werden.
Die moderate und auf Konsens gerichtete Grundeinstellung der Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich auf europäischer Ebene positiv ausgewirkt und die EU vor schlimmeren Folgen in der Schulden- und Eurokrise bewahrt. Ich weiß nicht, ob das mit anderen Regierungschefs auch so gewesen wäre. Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir hätten es 2014 mit einem „Basta-Kanzler“ wie Gerhard Schröder zu tun gehabt. Da wäre Griechenland wohl rausgeflogen. Merkel dagegen versuchte die ganze Zeit zu vermitteln. Ein Fehler war es damals, dass sie sehr spät reagiert hat, weil sie nicht gleich an das Problem herangehen wollte. Aber am Ende war es ein Glücksfall, dass Merkel an der Regierung war und nicht jemand anderer.
Für mich als griechischer Korrespondent war die Krisenzeit beruflicher Höhepunkt. Ich durfte 2011 sogar die Bundeskanzlerin für das Griechische Fernsehen ERT interviewen. Doch es war persönlich auch eine schwierige Zeit. Ich war damals beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk angestellt, „ERT“ (Elliniki Radiofonia Tileorasi). Wegen der Krise beendete 2013 die damalige Regierung den Sendebetrieb über Nacht. 2.600 Mitarbeiter waren unvorbereitet betroffen. Auch für mich kam die Schließung völlig unerwartet. Das war ein großer Schlag. Ausgerechnet in der Krise, wo es viel zu berichten gab: Wenn ein Journalist keinen Abnehmer hat, ist es so, als würde er mundtot gemacht.
Der Grundgedanke der Schließung war, abgesehen vom Sparzwang, den Rundfunk zu modernisieren und die Abhängigkeit des Senders von der jeweiligen Regierung zu brechen. Das fand ich ja gut – aber nicht so, wie es die Regierung gemacht hat.
Glücklicherweise dauerte diese Phase nicht lange. Nach drei Monaten gab es eine Art Zwischensender mit minimalem Budget und weniger Mitarbeitern. Aber es blieb die große Unsicherheit in jeder Richtung, vor allem auch finanziell. Beim Nachfolgesender, der unter turbulenten Umständen entstand, wusste niemand, wie lang er arbeiten und was danach kommen würde.
Da ein griechischer Korrespondent nur schwer mit einem einzigen Auftraggeber überleben kann, arbeitete ich immer auch für "TA NEA", eine liberale, die auflagenstärkste Zeitung Griechenlands.
Die Krise wurde in Griechenland auch als Chance gesehen, das Land zu reformieren und alles zu korrigieren, was schiefgelaufen war. Es wurden zwar mit Müh und Not ein paar schmerzhafte Reformen durchgesetzt, aber die Chancen wurden nicht ausgeschöpft. Das Problem war, dass diverse Populisten von links und rechts der Bevölkerung immer wieder versprochen hatten, es gebe einen Weg ohne Schmerzen. Aber ein Land war pleite. Und keinem Land, das pleite ist, kann es gut gehen. So hatten es die Menschen sehr schwer, die populistischen Versprechen kosteten viel Zeit. Deshalb dauerte die Krise in Griechenland viel länger als in anderen Krisenländern. Portugal war nach zwei, drei Jahren wieder auf den Beinen, aber Griechenland musste sich mit der Krise bis 2018 beschäftigen. Und leider kam dann die Corona-Krise...
Nicht nur als Korrespondent, auch in meiner Funktion als Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP), mit 440 Mitgliedern aus 60 Ländern, halte ich Deutschland wegen seiner zentralen geografischen Lage und wegen seiner politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Stärke für extrem wichtig. Infolge des Brexit wird die Bedeutung Londons abnehmen, Berlin wird geostrategisch de facto aufgewertet. Wir werden erleben, wie die Politik in Europa zunehmend von Deutschland bestimmt wird, natürlich in Zusammenarbeit mit Paris, Rom oder Warschau. Aber nach dem Brexit bekommen wir eine ganz andere Architektur Europas.
Da ich schon lange Korrespondent in Berlin bin, finden manche meiner Landsleute, ich würde zu viel Verständnis für Deutschland zeigen. Aber ich finde, das hat mehr mit Verstehen und weniger mit Verständnis zu tun. Es ist sehr wichtig, dass ein Korrespondent tiefe Kenntnisse über das Land hat, aus dem er berichtet.
Georgios Pappas