Olga Borobio über den Krieg des mexikanischen Präsidenten gegen die Korrespondenten der Agentur Notimex
Als Olga Borobio vom SPD-Parteitag berichtete, waren sie und ihre Kollegen der mexikanischen Agentur Notimex bereits kaltgestellt
Notimex ist die größte und wichtigste Nachrichtenagentur ganz Lateinamerikas. Der neue Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, geht rabiat gegen die staatliche Nachrichtenagentur seines Landes vor. Zwanzig Auslandskorrespondenten wurden über Nacht kaltgestellt und warten seit Januar 2019 auf ihre Bezahlung.
Unsere Agentur Notimex ist ein halbes Jahrhundert alt. So einen Vorgang haben wir Korrespondenten noch nicht erlebt: Im Januar 2019 wurden wir plötzlich entlassen. Ohne Vorankündigung.
Wir erhielten lediglich ein kurzes E-Mail. "Wir verlängern eure Verträge nicht mehr", stand da. Ohne Unterschrift. Denn niemand wollte die Verantwortung dafür übernehmen. Eine solche Entlassung per E-Mail kann keine offizielle Kündigung sein.
Unser Zugang zu Notimex wurde sofort blockiert und die Mailadressen gesperrt. Wir konnten plötzlich keine Nachrichten mehr an den Basisdienst der Agentur schicken. Wir alle waren total überrascht. Vorher gab es überhaupt keine Anzeichen dafür.
Es betraf nicht nur mich als Notimex-Korrespondentin in Deutschland, sondern insgesamt zwanzig Korrespondenten. Sie alle arbeiteten schon viele Jahre für die Agentur. Bis dahin gab keine Probleme, weder mit der journalistischen Freiheit noch mit den Finanzen oder der Technik. Alles lief reibungslos, wir arbeiteten alle gerne.
Im Einzelnen sind das in alphabetischer Reihenfolge:
Heriberto Araujo, der 11 Jahre lang aus Brasilien berichtet
Rubén Barrera, der 31 Jahre lang aus Washington berichtet
Andrés Beltramo, der 15 Jahre lang aus dem Vatikan berichtet
Olga Borobio, ich berichte seit 28 Jahren aus Deutschland
David del Río, der 19 Jahre lang aus Frankreich berichtet
Edelmiro Franco, der 30 Jahre lang aus Kolumbien berichtet
Cecilia González, die seit 16 Jahren aus Argentinien berichtet
Maurizio Guerrero, der 10 Jahre lang aus New York berichtet
Marcela Gutiérrez, die seit 10 Jahren aus Großbritannien berichtet
Isabel Inclán, die seit 8 Jahren aus Kanada berichtet
José López Zamorano, der seit 31 Jahren aus Washington berichtet
Adela Mac Swiney, die 27 Jahre lang aus Spanien berichtet
Carlos Meza, der seit 24 Jahren ebenfalls aus Spanien berichtet
Mario Osorio, der 21 Jahre lang aus Italien berichtet
Pablo Palomo, der 31 Jahre lang aus Guatemala berichtet
Rodolfo Rivera, der 28 Jahre lang aus Venezuela berichtet
José Romero, der ebenfalls 28 Jahre aus Kalifornien berichtet
Pablo Tonini, der seit 35 Jahren aus Miami berichtet
Francisco Trujillo, der seit 27 Jahren aus Texas berichtet, und
Julio Wright, der seit 26 Jahren aus Chile berichtet.
Wir betroffenen Korrespondenten schrieben mittlerweile zwei offene Briefe an den Präsidenten. Den ersten öffentlichen Brief schickten wir einen Monat nach unserer Entlassung. Danach beauftragten wir einen Rechtsanwalt. Zehn Monate nach dem ersten Schreiben verfassten wir einen zweiten offenen Brief an den Präsidenten. Wir beklagten uns, dass es in der ganzen Zeit noch immer nicht zu Verhandlungen mit der Agentur gekommen sei. Es gab nur spärliche Kontakte zwischen unserem Rechtsanwalt und der Agenturleitung. Die Agenturleitung behauptete, alle Korrespondenten seien rechtmäßig entlassen worden. Dazu gehört natürlich auch eine gesetzlich vorgeschriebene Abfindung. Aber nichts dergleichen passierte!
Nach uns Korrespondenten wurde auch eine Reihe von Angestellten rausgeworfen, sowohl in der Zentrale als auch in den Regionalbüros. Das geschah ebenfalls von heute auf morgen. Die Leute hatten keine Ahnung, durften ganz plötzlich ihr Büro nicht mehr betreten. Manche wurden sogar mit der Polizei hinausbegleitet!
Für den Präsidenten ist das alles in Ordnung. Er findet, alles vor seiner Zeit sei korrupt und verdorben gewesen. Er will Mexiko neu gründen und meint, das Land entwickle sich prächtig und ändere sich durch ihn zum Positiven.
Eine besondere Härte bedeutet die Entwicklung für einen Kollegen. Es ist der Korrespondent, der schon 28 Jahre in Venezuela arbeitet. Er leidet schwer an Parkinson und braucht dringend medizinische Versorgung, die er sich ohne Gehalt und Abfindung nicht leisten kann. Die Agentur reagiert auf nichts. Er wird einfach fallen gelassen, aufgegeben, ausgerechnet in Venezuela, dem Land mit der schwersten politischen und wirtschaftlichen Krise.
Der Ausschuss für Hörfunk, Fernsehen und Filmindustrie des Senates von Mexiko hat zwar seine Solidarität mit den Auslandskorrespondenten offiziell bekundet und darum gebeten, dass wir rechtmäßig behandelt werden. Das zeigte keine Wirkung.
Die Agentur ist zwar keine Regierungsagentur, gehört aber seit einer Verstaatlichung dem Staat. Ein Teil des Haushaltes der Agentur wurde von Kunden wie TV-Stationen, Hörfunk, Zeitungen und Digitalmedien finanziert, ein Teil durch die Regierung. Der Anteil der Regierung ging aber laufend zurück.
Der Konflikt geht nun weiter. Vergangenen Freitag, am 21. Februar 2020, begannen Dutzende Mitarbeiter der Agentur einen Streik wegen der tiefgreifenden Ausgabenkürzungen und Sparmaßnahmen. Inzwischen wurden 241 Notimex-Mitarbeiter entlassen.
Ich arbeite nun für den spanischen Dienst der Deutschen Welle in Berlin und für eine mexikanische Zeitung. Diese Zeitung gehört übrigens zu jenen guten und unabhängigen Medien, die vom Präsidenten von seinen Pressekonferenzen ausgeschlossen werden.
Was mich wundert und wirklich enttäuscht: In den mexikanischen Medien wurde zwar darüber berichtet, aber sonst kaum. Gerade die spanische Zeitung El Pais berichtete einmal ausführlich darüber, weil sie es unfassbar fand. Aber – von ganz wenigen kleinen Ausnahmen abgesehen – schrieben Medien in Deutschland nichts darüber. Ich hoffe sehr, das ändert sich noch!
Olga Borobio